"Politik der Liebe" fordert Gerechtigkeit für alle - kfbö zur Sozialenzyklika "Fratelli tutti"
[Wien, 14.10.2020, PA] Die Katholische Frauenbewegung Österreichs begrüßt die Aussagen von Papst Franziskus in seiner neuen Sozialenzyklika „Fratelli tutti“. „Als Katholische Frauenbewegung Österreichs sehen wir uns in unseren Anliegen, für Gerechtigkeit und damit auch Geschlechtergerechtigkeit in Gesellschaft und Kirche einzutreten, bestärkt“, so Angelika Ritter-Grepl, Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreichs. Den Aufruf des Papstes zu einer „Politik der Liebe“ verstehe man als einen Aufruf zur Herstellung umfassender Gerechtigkeit, zu einer „Strukturrevolution hin zu einer Gesellschafts- und Weltordnung, in der die Entfaltung des guten Lebens für alle möglich ist“, so Ritter-Grepl im Rückgriff auf die Innsbrucker Theologin Michaela Quast-Neulinger, die gemeinsam mit der kfbö die Enzyklika einer Analyse unterzogen hat. Frauen seien selbstverständlich genauso gemeint wie Männer, die – so der Papst explizit in Nummer 23 der Enzyklika - „die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben“. Dass Franziskus die Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Kirche nicht direkt anspreche, sei einerseits ein kritisierbares Faktum, erklärt kfbö-Vorsitzende Ritter-Grepl, andererseits gelte aber auch für diese Frage die Botschaft, die die Enzyklika allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens zugrundelege: „Fratelli tutti fordert dazu auf, selbst aktiv zu werden“, so Michaela Quast-Neulinger, die an der Universität Innsbruck am Institut für systematische Theologie forscht und unterrichtet, „es ist keine Belehrung, sondern eine Aufforderung zur Selbstinitiative in Gemeinschaft“.
Der Aufruf zur „Politik der Liebe“, jenseits einer „gönnerhaften Charity, die die Armen und Bedrängten mit Almosen abspeist“, gehe einher mit einem klaren Bekenntnis des Papstes zu den universalen Menschenrechten und der Charta der Vereinten Nationen, so Quast-Neulinger. In einer höchst zerbrechlich gewordenen Ordnung sei es der Papst, der die Staaten zu Rechtsstaatlichkeit und den Grundregeln internationaler Diplomatie ermahne. Im Zusammenhang damit spreche er den Ausschluss von Frauen aus der derzeitigen Ordnung direkt an, etwa, wenn er es für „inakzeptabel“ erkläre, „das eine Person weniger Rechte hat, weil sie eine Frau ist (…)“ (121). Die Politik der Liebe stehe dem radikal entgegen. Wo Menschen Rechte genommen würden und ihre Würde verletzt werde, hätten sie das Recht, wenn nicht sogar die Pflicht, aufzubegehren: „Wer Unrecht erleidet, muss seine Rechte und die seiner Familie nachdrücklich verteidigen, eben weil er die ihm gegebene Würde schützen muss, eine Würde, die Gott liebt“ (241).
Kirche ist höchst politisch
Wahre Geschwisterlichkeit gebe es nur dort, wo Menschen bereit seien, auf herrschaftliche Macht zu verzichten und den Dialog als existenzielle Haltung immer wieder neu einübten. Die Kirche habe kraft ihrer Mission Anteil an der notwendigen Friedensarbeit: „Kirche achtet die Autonomie der Politik, aber ihre Mission ist u.a. das Mitwirken an einer besseren Welt, und damit ist sie höchst politisch“, so Michaela Quast-Neulinger. Die Enzyklika zeige deutlich: „Religion ist legitimerweise politisch, insofern sie auf das Wohl aller abzielt… Institutionelle Trennung ist notwendig, die aktive Präsenz religiöser Gemeinschaften und der Gläubigen im Politischen hingegen unverzichtbar.“
Nicht „christliche“, sondern „beste Politik zum Wohle aller“
„Fratelli tutti“ nenne das Unrecht in der Welt klar beim Namen, das neoliberale System der Ausbeutung, der Nationalismen, die Verachtung der Geringen und die Entsorgung der „Nutzlosen“. Der selbstregulierenden Macht der Märkte stelle Papst Franziskus das Primat einer Politik gegenüber, „die bereit ist, auf Offenheit, Beziehung und Zärtlichkeit, auf umfassende Geschwisterlichkeit zu setzen.“ Und, so Quast-Neulinger: „Diese Politik kann sich auch nicht mit dem Label ´christlich‘ schmücken, sondern sie ist schlicht ´beste Politik‘ zum Wohle aller.“
Kfbö in der Tradition politischen Handelns
Die Katholische Frauenbewegung Österreichs verstehe sich in dieser Tradition politischen Handelns, so die kfbö-Vorsitzende Angelika Ritter-Grepl, auf nationaler Ebene etwa zu Fragen von Gewalt gegen Frauen oder Geschlechter-Ungerechtigkeiten am Arbeitsmarkt, und global mit ihrer „Aktion Familienfasttag“, die in Ländern des Südens Frauen bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützt.
"Fratelli tutti" – "Avanti sorelle"
Zur vielfach geäußerten Kritik am Titel der Enzyklika - Franziskus spricht explizit „Brüder“ an und lässt „Schwestern“ unerwähnt – meint Ritter-Grepl : „Die Botschaft dieser Sozialenzyklika ist unmissverständlich an alle Menschen gerichtet. Wir in der kfbö verstehen sie als Aufruf, unserem ureigenen Auftrag weiter nachzukommen. In diesem Sinne also: Avanti sorelle – vorwärts, Schwestern!“